Interview mit Ruprecht Polenz zu Stieringers Fake-Gate

Ruprecht Polenz. Fast 20 Jahre war er Mitglied des Deutschen Bundestages, für einige Zeit auch Generalsekretär der CDU. Er ist die gern wahrgenommene, viel diskutierte, politische Stimme aus dem Off, reflektiert auf seinen Socialmedia-Kanälen über das politische Zeit- und Tagesgeschehen, die großen und kleinen Themen, und sammelte binnen kürzester Zeit tausende Follower.

Ich möchte nicht sagen, dass wir uns schon lange kennen, aber wir folgen uns schon einige Jahre gegenseitig in den sozialen Medien mit viel Respekt. Gegenseitig? Ich denk, das darf ich behaupten, nachdem er zwischenzeitlich auch mehrere meiner Socialmediaverlautbarungen auf seinen Kanälen geteilt hat. Auch er hat in Münster über mich von der Causa Stieringer mitbekommen und war auf meine Anfrage hin direkt zu einem Interview bereit.

Herr Polenz, Sie sind sehr aktiv bei Twitter und Facebook. Sind die sozialen Medien Fluch oder Segen im politischen Diskurs?

Ich weiß nicht mehr, woher ich den Spruch kenne, aber ich meine, aus einer Werbung: „Es kommt darauf an, was man daraus macht“.

Ich halte die sozialen Medien einerseits für ein wertvolles Informationsmedium. Man findet gute Artikel, auf die man sonst nicht käme. Auch die Diskussionen sind oft anregend, sie beeinflussen das eigene Denken. Für mich als ehemaligen Politiker sind diese Kanäle natürlich zur Kommunikation nach außen sehr interessant. Trotzdem ist das ganze System intransparent, vor allem der Algorithmus ist ein Problem. Das Geschäftsmodell lebt von Werbung. Und Werbung folgt dem Zeitprinzip. Ein User bleibt möglichst lange dabei, wenn er möglichst viel Recht bekommen. Aber Demokratie lebt vom „Einerseits“ und „Andererseits“, das Geschäftsmodell, die „Bubble“ wirkt dem entgegen. Das ist ein Widerspruch.

Unter dem Strich, wenn Sie mich fragen, muss ich sagen:

Facebook und Twitter bergen beträchtliche Risiken für die Demokratie und die politische Diskussion.

Ich folge Ihnen auf den diversen Kanälen schon lange. Bei ihnen wirf oft kontrovers und hart diskutiert, Sie werden oft angegangen und reagieren souverän.

Das ist eine Sache des Temperaments: 40 Jahre Politik, auch im kommunalen Bereich, und viel Erfahrung auch in unmittelbarer und direkter Konfrontation. Ich wurde ja unzählige Male angegangen, ob im Bundestag bei großen Debatten oder hier in Münster wegen eines fehlenden Kindergartenplatzes.

Ich hab gelernt, dass es nichts bringt, wenn sich am Ende alle aufregen in der Kommunikation.

Diese jahrzehntelange Erfahrung bring ich mit in die sozialen Medien, was aber nicht bedeutet, dass mich nicht manche Kommentare ärgern. Ich blockiere aber nur bei Beleidigungen, aber meist auch erst, nachdem ich den Ton angemahnt habe. Ich bekomme 500 bis 600 Kommentare am Tag, versuche alles zu lesen und zu beantworten.

In Bamberg herrscht eine große Diskussion um lokale Fakeaccounts. Machen Sie die Erfahrung auch?

Es fällt natürlich nicht immer direkt auf. Wir haben in den sozialen Medien keine Klarnamenpflicht. Das ist nachvollziehbar, aber problematisch. Oft machen mich Dritte darauf aufmerksam, dass sich Fakeaccounts bei mir tummeln, dass sich eine Person mehrerer Profile bedient und Diskussionen vortäuscht.

Das verzerrt natürlich das Diskussionsthema.

Kommen Fakeaccounts aus bestimmten politischen Ecken?

Rechtsaußen im politischen Spektrum ist das eine sehr übliche Masche, glaub ich. Man muss schon sehr viel manipulative Energie aufbringen, um sich solcher Mittel zu bedienen.

Mit Ehrlichkeit und Dialogbereitschaft hat das nichts mehr zu tun, es sind schlichtweg manipulative Versuche, eine bestimmte Meinung durchzusetzen. Aber Mehrheit ist nicht Wahrheit, es soll lediglich ein Meinungsklima soll erzeugt werden: „Wenn das so viele denken, muss was dran sein.“

Was kann man tun?

Es gibt keine Stelle, keine Institution wie Mimikama bei Fakenews, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Fakeaccounts zu entlarven.

Das wäre aber eine sinnvolle Aufgabe für alle, die an einem sauberen Diskurs interessiet sind. Schwierig bleibt es, aber Ideen gibt es.

Gerade aus rechten Kreisen hört man oft, „dass man ja nicht mal mehr seine Meinung sagen darf“ als Rechtfertigung zur Verschleierung der eigenen Identität…

Fakeaccounts muss man zunächst mal klar unterscheiden von Nicknames. Letztere dienen der Anonymität, Fakeaccounts aber haben immer etwas manipulatives.

Man kann hierzulande immer unter Klarnamen seine Meinung sagen, denn Transparenz ist in demokratischen Ländern kein Problem. In Russland ist das vielleicht etwas anderes. Aber in Deutschland herrscht Meinungsfreiheit.

Ist es vielleicht Sorge vor der Reaktion z.B. des Arbeitgebers, der mitliest?

Es kommt auch nicht gut an, wenn der Arbeitgeber erfährt, wie man sich im Urlaub am Ballermann benommen hat.

Die Meinungsfreiheit, aber auch die Informationsfreiheit sind hohe Güter, die Desinformation durch Fakeaccounts muss aufgedeckt werden. Wir müssen für faire Methoden in politischen Diskussionen eintreten und sensibilisieren.

Können Sie bitte von Münster kurz nach Bamberg schauen? Wenn ein SPD-Fraktionschef sagt „Fake-Accounts geben ja den Menschen erstmal die Möglichkeit, sich auch anonym unter dem Schutz der Persönlichkeitsrechte in den sozialen Netzwerken zu bewegen. Das finde ich ok.“ – Wie bewerten Sie das?

Ich hab dafür nur zwei Erklärungen: Er zeigt Unkenntnis oder Böswilligkeit. Da ich ihn nicht kenne, gehe ich von Unkenntnis aus. Stieringer unterscheidet nicht zwischen Pseudonym, Nickname und Fakeaccount. Fakeaccount heißt „keine natürliche Person“. Es ist nicht klar, wie viele Personen hinter den drei Accounts stecken. Ab dem Moment, wo eine Person mit mehreren Accounts aktiv ist, hat das sowieso nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun. Wenn man seine Anonymität durch einen Nickname schützen will, ist das das eine. Einen Fakeaccount aber könnte man auch Hochstapleraccount nennen, das ist übel! Unter Demokraten kann man sich so nicht auseinandersetzen.

Sie möchten einen Tweet zum Thema „Fakeaccounts“ in den sozialen Medien verfassen? Was würden Sie zusammenfassend schreiben?

Fake-Accounts sind Scheinriesen. Sie sollen einschüchtern. Aber hinter 50 und mehr Fake-Accounts steht oft nur eine Person, die so tut, als würde ihre Meinung von vielen geteilt. Fake-Accounts können auch Hochstapler-Accounts sein, wenn mit erfundenem Lebenslauf Vertrauen erschlichen werden soll.

Vielen Dank für das Gespräch!

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