Die Preisspanne des Schweigens
Stieringer schweigt. Und schweigt. Und schweigt. Nun fordern einige Stadträte Konsequenzen auch im Stadtmarketing und drohen mit Streichung der Fördergelder, sollte er dort als Geschäftsführer weitermachen, ohne sich endlich zu den Vorwürfen zu äußern. Der FT berichtete bereits am Samstag. Ich hatte bisher keine Zeit, ich musste nämlich feiern. Warum? Und was das mit Stieringer zu tun hat?
Es dürfte hinlänglich bekannt sein, dass ich in den 90ern Schüler am hiesigen, dem Bamberger Franz-Ludwig-Gymnasium war, das ich – nach kleinen Verzögerungen auf Höhe der 11. Klasse wegen Unstimmigkeiten mit dem Lehrkörper zu Schwerpunktsetzungen zwischen Schul-, Berufs- und Privatleben – im Jahr 2003 dann endlich mit dem allgemeinen Hochschulreife verlassen konnte. Auch wenn ich damit offiziell erst im nächsten Jahr mein 20jähriges Abitur feiern darf, so fühl mich doch meinem Stammjahrgang emotional bis heute auch sehr verbunden, dem ich bis zur 11. Klasse angehörte. Deshalb hab ich es mir nicht nehmen lassen, vor wenigen Tagen mit ebenso freudigem Hallo wie größter Selbstverständlichkeit beim Jubiläumsabitreffen des 2002er-Jahrgangs aufzuschlagen. Wir kramten – wie es sich an so einem langen wie legendären Sommerabend gehört – in den verblassten Erinnerungen nach alten Geschichten.
Ein besonderes Highlight war folgende Begebenheit:
Eines Frühlingsnachmittags im Jahr 2002 kurz vor den Abiturprüfungen hatte die 13. Klasse ein paar Minuten früher Schulschluss. Moritz F. (Name geändert) verließ als letzter das Klassenzimmer und schlenderte den Gang im sogenannten, inzwischen abgerissenen Zwischenbau entlang, als er mit seinem bis heute hervorragendem Augenmaß feststellte, dass eben jener Gang genauso breit war wie sechs der zufällig auch auf selbigem Gang gelagerten Schülertische. So viel Zufall auf einmal! Passgenau und in Reih und Glied schob er die sechs Tische zwischen eine nach außen öffnende Klassenzimmertür und die gegenüberliegende Wand. Grinsend angesichts seines genialen Streichs machte er sich auf den Nachhauseweg.
Im Klassenzimmer saß der Grundkurs Englisch der 12. Klasse, darunter übrigens auch ein gewisser Florian Herrnleben. Pünktlich zum Gong wollten wir das Klassenzimmer verlassen, wurden aber durch die außen im Gang eingeklemmten Tische am Öffnen der Tür gehindert. Unser Lehrer merkte schnell, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Er motivierte den größten und kräftigsten Mitschüler (zwei Meter hoch, ein Meter breit) – wir waren ja im Englischunterricht – mit den einfachen wie verständlichen Worten „Use force!“
Unser Kollegstufen-Stallone sprang – Schulter voran – gegen die Klassenzimmertür, die samt Rahmen aus der Laibung schoss. Wir waren gerettet, der Übeltäter war unerkannt entkommen. Unser Englischlehrer ließ keinen Zweifel aufkommen, dass nur ein Schulverweis durch den Direktor persönlich für den Täter die einzige und gerechte Konsequenz sein könne, so man ihn zu fassen bekäme. Die Worte „Use force!“ gingen in die Geschichtsbücher ein. Wäre der Zwischenbau im Jahr 2008 nicht abgerissen worden, man könnte diesen Satz bis heute auf einer Steintafel neben der seinerzeit eingetretenen Klassenzimmertür lesen.
Zurück zu unserem Abiturtreffen. Natürlich, das ließ sich kaum vermeiden, steuerte das Gesprächsthema am Tisch irgendwann auch in Richtung Fakeaccountskandal. Nicht nur die in Bamberg gebliebenen, ehemaligen Mitschüler hatten mitbekommen, was ich da angestellt hatte. Dank sozialer Medien hatte man meine ersten Blogeinträge dazu verfolgt, den BR-quer-Bericht gesehen, in dessen Verlauf Stieringer ins Mikrofon stolperte wie unser Kollegstufen-Stallone gegen die Klassenzimmertür, SZ, NN und heise.de gelesen. Man war also grob im Bilde, wollte aber vieles genau und aus erster Hand wissen: Wie ich drauf kam, wieviel Material ich hatte, ob Stieringer wirklich seit Monaten nix sagt, ob das nicht dadurch nur immer blöder für ihn wird oder ob man sowas wirklich aussitzen kann, ob er nicht bald mal zurückgetreten muss und ob ihm das nun wirklich auch den Stadtmarketingjob kosten könne, wie es im FT steht.
„Ja!“ war meine Antwort auf die letzte Frage. Unnötig, aber er hat den Preis für ein paar Monate Spaß mit Stefan Sandmann selbst in die Höhe getrieben wie ein besoffener Popeye am „Hau den Lukas!“: Über Monate nix sagen, wie es ihm vielleicht sein Umfeld der 54 weltbesten Berater und Strategen nahegelegt hatte, war strategisch gar nicht so clever. Zu glauben, dass die Presse die Lust daran verliert, die Hintermänner aufzudecken, ist naiv. Zu hoffen, dass ihn eine Anklage gegen OB & Co. im Boniskandal aus der medialen Mitte rückt, war frech. Die Presse vergisst nicht, was die Sandmanns, Frankens und Hausdörfers über Monate in die sozialen Medien gekotzt haben. Und die Stadtgesellschaft vergisst auch nicht, welche Spielchen er aus Rache mit Hilfe der AfD zu spielen versucht hat. Wie lange sich gute Geschichten halten können, sieht man an unserem „Use force!“-Erlebnis aus der Kollegstufe am FLG im Jahr 2002.
Apropos! Warum ich weiß, dass es Moritz war, der die Tische vor die Tür gebastelt hat wie ein heimlicher Tetrisweltmeister? Er hat sich gestellt. – Als er am nächsten Morgen erfahren hat, wie engagiert man im Schulhaus nach dem Täter fahndet, entschloss er sich spontan zu einer Beichte im 1. Stock (Hauptbau), konkret: Im Büro des Oberstudiendirektors. Es wackelten kurz sämtliche Fenster des altehrwürdigen Franz-Ludwig-Gymnasiums, er flog nicht von der Schule, sondern bekam wenige Wochen später sein Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife und feiert wie der Rest der Truppe in diesen Tagen “20 Jahre Abitur”.
mins
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